Cyriakusgemeinde

Evangelisch in Rödelheim

FNP-Artikel zur Schreibinsel

Ann-Kristin Wigand, 26. September 2023
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„Geschichten aus dem Leben in zehn Minuten“

In der Schreibinsel wird gemeinsam Autobiographisches zu Papier gebracht

Vivienne Rudolph stellt an ihrem Handy den Timer auf zehn Minuten. „Die Zeit läuft ab jetzt“, sagt sie zu den Teilnehmern der Schreibinsel, die an diesem frühen Abend ins Gemeindezentrum an der Cyriakuskirche gekommen sind, um mehr über das autobiografische Schreiben zu erfahren.

Nur unsere Erinnerungen erzählen, wer wir sind“, erklärt sie zuvor. Trotzdem kümmerten wir uns nicht um diese Dinge, um die Erinnerungen an das eigene Leben. Sie selbst sei über das Buch „Leben, schreiben, atmen“ der Filmregisseurin und Schriftstellerin Doris Dörrie zum autobiografischen Schreiben gekommen.

Und es habe sie so gepackt, dass sie seitdem zu ganz unterschiedlichen Themen ihres Lebens etwas zu Papier bringe.

Ganz klassisch mir der Hand

Ganz klassisch mit der Hand, Tinte und Füller in schönen Büchern, deren leere Seite sie füllt. „Ganz gleich zu welchem Thema, die Worte fließen“, sagt die Kursleiterin. Das möchte sie den Teilnehmern der „Schreibinsel“ weitergeben und sie motivieren. Um autobiografisch zu schreiben, sei es nicht notwendig, eine bekannte Persönlichkeit zu sein oder ein berühmter Schriftsteller, findet Rudolph. „Wir alle haben eine Geschichte, die einzigartig und es wert ist, festgehalten zu werden.“ Rudolph hatte kurz zuvor noch einen Beutel mit Glasmurmeln herumgehen lassen, als Inspiration für das, was man in der Kindheit vielleicht gesammelt haben könnte. Oder eben andere Dinge wie Briefmarken, Kastanien, Ab-ziehbildchen. Sammeln ist der Oberbegriff des Themas, das sie den Teilnehmern an diesem frühen Abend stellt. Die Aufgabe ist, innerhalb von zehn Minuten darüber zu schreiben, ohne den Stift in dieser Zeit abzusetzen.

Selbst wenn einem mal nichts einfalle, einfach anfangen und schreiben, am besten mit der Einleitung „Ich erinnere mich, dass…“, gibt Rudolph noch den Tipp an diejenigen, die zum ersten Mal mitmachen. Das Angebot ist jederzeit für alle offen. In den von ihr vorgegebenen zehn Minuten ist es ruhig in dem Raum im ersten Stock des Gemeindezentrums, von dem aus man durch eine Glasscheibe einen Blick in das Kircheninnere hat. Eine Schreibblockade scheint niemand zu haben, ganz im Gegenteil: die Gedanken, zu denen das Thema Sammeln und die Murmeln inspirieren, werden zügig zu Worten formuliert und die Seiten der mitgebrachten Blöcke füllen sich schnell.

Und dann ist die Zeit auch schon vorbei, die letzten Sätze dürfen zu Ende geschrieben werden. „Wer möchte, der darf das, was er geschrieben hat, vorlesen. Das ist aber freiwillig“, sagt Rudolph. Schnell findet sich mit Godula Voigt eine erste Freiwillige. Aufmerksam hören die anderen zu. Ihr Text erzählt davon, dass sie eigentlich noch nie wirklich etwas gesammelt habe, nur bei Boxen und Dosen, in denen man etwas ordentlich aufbewahren könne, werde sie schwach, ist zu erfahren. Und bei besonderen textilen Stoffen, gibt sie am Ende ihres Textes zu und macht sich damit anscheinend auch selbst bewusst, dass etwas zu sammeln doch ein Thema ist, das in ihrem Alltag, wenn auch nur in ganz kleiner Form, einen Platz gefunden hat.

Gleich zwei Premieren

Voigt macht zum ersten Mal mit beim autobiografischen Schreiben. Motiviert worden sei sie durch die Erzählungen hierüber von Vivienne Rudolph. Die beiden kennen sich über einen Tanzkurs, den Voigt beim Sportverein FTG Frankfurt leitet. Zum ersten Mal dabei ist auch Karin Steffens. Die Rödelheimerin hat eine ganz besondere Lebensgeschichte, erkrankte im Alter von zwei Jahren an Hirnhautentzündung und verlor hierdurch ihr Gehör. Sie habe gelernt als Gehörlose in einer hörenden Welt zu leben – auch dank der großen Unterstützung, die sie als Kind von ihren Eltern, Großeltern und ihrem Umfeld erfahren habe. Sie kann von den Lippen lesen und auch Gespräche führen. Als sie ihren Text vorliest wird deutlich, dass sie ein Mensch ist, der die Natur liebt. Sie sammle Eindrücke aus der Natur, fotografisch und in der Erinnerung, ist über das, was sie aufgeschrieben hat, zu erfahren. Denn die Natur zeige einem Vieles, wenn man sie mit offenen Augen betrachte und genau beobachte, fasst sie es in ihrem Text zusammen. „Das autobiografische Schreiben bringt einen weiter zu sich selbst als Menschen“, findet Vivienne Rudolph. Mit dem Angebot der Schreibinsel möchte sie die Teilnehmer dazu motivieren, regelmäßig Erinnerungen und Erlebtes einfach einmal aufzuschreiben. Dafür bedürfe es nicht viel Zeit. Schon zehn Minuten am Tag seien völlig ausreichend.

Quelle und Copyright Text und Bild: FNP, Autorin: ALEXANDRA FLIETH